Behinderung als
besondere Lebenslage
… sind besonders schutzbedürftig. Umso mehr, wenn sie eine Flucht- oder Zuwanderungsgeschichte haben. Oft stoßen sie auf räumliche und gesellschaftliche Zugangs- und Beteiligungsbarrieren.
Ihren individuellen Bedürfnissen und Bedarfen für Schutz und Unterstützung wird oft nicht Rechnung getragen, z. B. bei einer Unterbringung in Sammelunterkünften. In vielen Regelungen für geflüchtete oder zugewanderte Menschen wird die Behinderung bislang zu wenig berücksichtigt. Rechtlich betrachtet stehen sie zwischen dem Asylrecht und der Behindertenhilfe.
Um Menschen mit einer Behinderung wirkungsvoll vor Gewalt zu schützen, ist die Kenntnis der besonderen (rechtlichen, medizinischen, sozialen) Lebenslage erforderlich. Daher ist der Behinderung als besondere Lebenslage im Zusammenhang mit Gewaltprävention eine eigene Lernressource gewidmet.
… (Flucht-)Migration und Behinderung ist sehr komplex und vielfältig. In dieser Lernressource werden ausgewählte Perspektiven und Aspekte beschrieben. Geben Sie uns gerne Rückmeldung, wenn Ihnen etwas fehlt oder Sie Anmerkungen haben (Feedback-Fragebogen).
Migration und Behinderung stehen an sich in keinem direkten Zusammenhang. „Gemeinsam bedeutsam werden sie meist erst dadurch, dass eine Familie beide Erfahrungen in ihrer Biografie vereint.“ (Falkenstörfer/Gasmi 2019: S. 28).
Entsprechend heterogen ist der Personenkreis der Menschen mit Migrationshintergrund und Beeinträchtigung bzw. Behinderung.
Im Jahr 2013 hatte von den 16,6 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland fast jeder Zehnte eine Beeinträchtigung. Ca. 1,4 Mio. davon waren selbst zugewandert und ca. 180.000 in Deutschland geboren. Bei den Menschen ohne Migrationshintergrund sind 16,7 Prozent betroffen, also deutlich mehr. Auch bei den anerkannten Schwerbehinderungen sind deutlich weniger Menschen mit Migrationshintergrund zu finden. (vgl. BMAS 2016: S. 455 f.)
Als Grund für diese Unterschiede werden insbesondere die verschiedenen Altersstrukturen genannt. Menschen mit Migrationshintergrund sind im Durchschnitt wesentlich jünger als Menschen ohne. Sie sind seltener älter als 65 Jahre, also in der Altersgruppe, in der die Wahrscheinlichkeit für Beeinträchtigungen und Behinderungen beträchtlich ansteigt (Westphal/Wansing 2019: S. 8).
Es ist davon auszugehen, dass seit der verstärkten Fluchtzuwanderung seit 2015 die Anzahl und der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen bei den zugewanderten Menschen gestiegen ist. Viele der Geflüchteten kommen aus Kriegsgebieten. Und Krieg ist nach wie vor eine der Hauptursachen für Behinderung weltweit (Stientstra/Nyerere 2016 zit. nach Köbsell 2019: S. 65).
Wie viele der geflüchteten Menschen in Deutschland von einer Behinderung oder Beeinträchtigung betroffen sind und von welchen Formen, lässt sich nicht genau sagen. Vorliegende Behinderungen oder Beeinträchtigungen werden bei der Ankunft nicht flächendeckend erhoben (entgegen der EU-Aufnahmerichtlinie für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge) (Köbsell 2019: S. 63). Schätzungen zufolge sind mindestens 15 Prozent betroffen. Werden psychische Beeinträchtigungen mit einbezogen, dann wird sogar von bis zu 50 Prozent ausgegangen (Schülle 2017: S. 21).
Ursachen für Behinderungen geflüchteter Menschen sind häufig:
Auf der Flucht sind Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen oft besonderen Herausforderungen und Gefahren ausgesetzt. Das Sterberisiko ist für sie deutlich erhöht.
Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern, die oft Zwischen- oder Endstation für Flüchtende sind, berücksichtigen keineswegs die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen:
Diese Umstände können zu erneuten Beeinträchtigungen führen oder bestehende verschlimmern. (Köbsell 2019: S. 65 f.)