Familie in gemeinschaftsorientierten (kollektivistischen) Gesellschaften

Die Bedeutung von Familie ...

… ist von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Die Vorstellungen und Werte von geflüchteten und zugewanderten Menschen über Familie sind oft durch die Herkunftsgesellschaft geprägt.

Bei der Begleitung von Familien kann es hilfreich sein, sich mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Orientierungen und deren Bedeutung für das Familienbild auseinanderzusetzen.

In stärker auf die Gemeinschaft ausgerichteten (kollektivistischen) Gesellschaften hat die Familie eine starke sozial einbindende Funktion für alle ihr zugehörigen Personen ...

Sie stellt einen verlässlichen und wirksamen Schutzverband dar. Sie dient insbesondere in schwierigen Zeiten, wie sie Migration oft mit sich bringt, als Orientierungsmaßstab und Unterstützung.

Dafür wird aber ein hohes Maß an Loyalität eingefordert. Ausgeprägte Autoritätsstrukturen und auch die starke emotionale Verbundenheit innerhalb der Familie können das Risiko für familiale Gewalt in zugewanderten Familien erhöhen. Der starke familiäre Zusammenhalt erschwert es, sich fremden Personen anzuvertrauen und Hilfe zu suchen.

Hier finden Sie einen Überblick über Haltungen und Wertvorstellungen in Gesellschaften, die auf die Gemeinschaft (kollektivistisch) ausgerichtet sind, im Vergleich zu Gesellschaften, die auf die einzelne Person (individualistisch) ausgerichtet sind.

1. Kollektivistisch

Die Menschen werden in Großfamilien oder andere
"Wir-Gruppen" hineingeboren, die sie schützen.
Im Gegenzug erhalten diese Loyalität.

1. Individualistisch

Jeder Mensch wächst heran,
um ausschließlich für sich selbst
und seine direkte (Kern-)Familie zu sorgen.

2. Kollektivistisch

Die Identität ist in dem sozialen Netzwerk begründet, dem man angehört.

2. Individualistisch

Die Identität ist im Individium begründet.

3. Kollektivistisch

Kinder lernen in "Wir"-Begriffen zu denken.

3. Individualistisch

Kinder lernen in "Ich"-Begriffen zu denken.

4. Kollektivistisch

Die Bewahrung von Harmonie steht an erster Stelle, direkte Auseinandersetzungen sollten vermieden werden.

4. Individualistisch

Seine eigene Meinung zu äußern ist Kennzeichen eines aufrichtigen Menschen..

5. Kollektivistisch

Starker Kontext
mit ungehindertem Informationsfluss.

5. Individualistisch

Schwacher Kontext
mit Informationsnetzen von geringer Dichte.

6. Kollektivistisch

Übertretungen von Regeln und Normen führen zu Beschämung und Gesichtsverlust bei sich selbst und bei der Gruppe.

6. Individualistisch

Übertretungen
führen zu Schuldgefühlen
und Verlust der Selbstachtung.

7. Kollektivistisch

Ziel der Erziehung: Anpassung an vorgegebenen Rahmenbedingungen (Kultur und Religion); eine individuelle Persönlichkeitsentwicklung ist nicht erwünscht.

7. Individualistisch

Ziel der Erziehung: Lernen als Entwicklung der individuellen Persönlichkeit.

8. Kollektivistisch

Beziehung hat Vorrang vor der Aufgabe.

8. Individualistisch

Aufgabe hat Vorrang vor der Beziehung.

9. Kollektivistisch

Kollektive Interessen haben Vorrang vor individuellen.

9. Individualistisch

Individuelle Interessen haben Vorrang vor kollektiven.

10. Kollektivistisch

Das Privatleben wird von der Gruppe beherrscht.

10. Individualistisch

Jeder hat ein Recht auf Privatleben.

11. Kollektivistisch

Meinungen werden durch Gruppenzugehörigkeit bestimmt.

11. Individualistisch

Mann erwartet von jedem eine eigene Meinung.

12. Kollektivistisch

Harmonie und Konsens in der Gesellschaft stellen höchste Ziele dar.

12. Individualistisch

Selbstverwirklichung eines jeden Individuums stellt eines der höchsten Ziele dar.

Kollektivistische und individualistische Haltungen und Wertvorstellungen (Kizilhan & Klett 2021, in Anlehnung an Hofstede 2011)

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Themen wie Schuld und Scham (ggfs. auch Sexualität) sollten behutsam mit den Kindern und Jugendlichen, aber auch den Erziehungspersonen angesprochen werden.

Die Folgen von Gewalt (gegenüber Kindern) sind deutlich aufzuzeigen. Wird Gewalt durch die Tradition/Kultur bzw. Religion legitimiert, dann sind religions- bzw. kulturspezifische Gegenargumentationen wichtig. Den meisten Eltern ist das Wohl ihrer Kinder wichtig. Das kann ein Ansatzpunkt für einen gemeinsamen Lösungsweg sein.