Startseite » Behinderung » Welche rechtlichen Grundlagen zu Behinderung und Migration gibt es?
Verschiedene gesetzliche Grundlagen fördern – oder behindern – den Schutz und die Teilhabe von zugewanderten bzw. geflüchteten Menschen mit Behinderung bzw. Beeinträchtigung.
In den letzten Jahren gab es einige politische und rechtliche Neuerungen in den Bereichen Migration und Behinderung, z. B. das Bundesteilhabegesetz oder das Integrationsgesetz (beide 2016). Eine Berücksichtigung der Zusammenhänge von Migration und Behinderung fehlt jedoch nach wie vor (Westphal/Wansing 2019: S. 6).
Im Folgenden werden einige wichtige Gesetzesgrundlagen aus den beiden Bereichen beschrieben.
Die UN-Behindertenrechtskonvention („Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“) wurde 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen als völkerrechtlicher Vertrag verabschiedet.
2009 wurde sie von Deutschland ratifiziert. Seither ist sie „geltendes Recht in Deutschland, welches von allen staatlichen Stellen umgesetzt werden muss“ (Deutsches Institut für Menschenrechte o. J.). Und sie gilt für alle in Deutschland lebenden Menschen.
In der UN-BRK werden die allgemeinen Menschenrechte für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen konkretisiert. Menschen mit Behinderungen sollen so besser vor Diskriminierung und Ausgrenzung geschützt werden. Ihnen sollen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll und gleichberechtigt zuteilwerden. Sie sollen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit anerkannt werden (Westphal/Wansing 2019: S. 4).
Außerdem ging von der UN-BRK ein Umdenken in Bezug auf Behinderung aus, hin zu einem menschenrechtsbasierten Ansatz:
„Menschen mit Behinderungen sind Träger*innen von Menschenrechten und der Staat ist in der Pflicht, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu achten, zu gewährleisten und zu schützen. Behinderung wird in diesem Verständnis als Bereicherung der menschlichen Vielfalt angesehen.“ (Deutsches Institut für Menschenrechte o. J.)
Die UN-BRK umfasst bestimmte
Das Menschenrecht auf Gesundheit ist in Artikel 25 festgelegt:
„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, haben. (…)“ (Deutsches Institut für Menschenrechte o. J.).
Ausführliche Informationen, auch zum Stand der Umsetzung in Deutschland, finden Sie z. B. unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/monitoring-stelle-un-brk/die-un-brk
In der EU-Richtlinie 2013/33 sind die „Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen“ für die EU-Mitgliedsstaaten festgelegt. Sie gilt für asylsuchende Menschen während des Asyl- bzw. Anerkennungsverfahrens, neben dem nationalen Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
In ihr ist festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten die spezielle Situation von schutzbedürftigen Menschen bzw. Menschen mit besonderen Bedürfnissen berücksichtigen müssen. Dies umfasst insbesondere die Personengruppen Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben (Art. 21).
Ihnen sind eine „erforderliche medizinische Versorgung oder sonstige Hilfen, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung“ (Art. 19 Abs. 2) zu gewähren.
Daraus lässt sich ableiten, dass Asylsuchende mit einer Behinderung Anspruch auf die sogenannten „sonstigen Leistungen“ nach § 6 AsylbLG haben. (Schülle 2019: S. 154). Die Gewährung dieser Leistungen erfolgt in der Praxis jedoch oft nach dem Ermessen der Behörden.
Um sich rechtlich auf die Umsetzung der Richtlinie berufen zu können, müssen die Betroffenen in einer Einzelfallprüfung als besonders schutzbedürftig anerkannt sein. Ein etabliertes Verfahren dafür gibt es bislang nur für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. Für Menschen mit Behinderungen bestehen verschiedene Modellprojekte (Schülle 2019: S. 154/ 159).
Die komplette EU-Richtlinie finden Sie im Internet, z. B. unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013L0033&from=DE
Die Bemühungen auf nationaler Ebene, Diskriminierung zu verringern und Gleichstellung zu fördern, führten zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Es gilt seit 2006.
In ihm wird gefordert, „dass alle Menschen freie und gleiche Möglichkeiten haben sollen, ihre Rechte und gesellschaftliche Teilhabe zu verwirklichen, und zwar ohne aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt zu werden.“ (Westphal/Wansing 2019: S. 4)
Neben der UN-BRK hat auch das AGG zu einer Veränderung des Blicks auf und des Umgangs mit Behinderung sowie mit Menschen mit Behinderung beigetragen.
Das komplette AGG finden Sie im Internet, z. B. unter: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/AGG/agg_gleichbehandlungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) soll die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention auf nationaler Ebene umsetzen. 2016 trat die erste Reformstufe in Kraft, 2023 wird die vierte und letzte Reformstufe gültig sein. Das BTHG ermöglicht Menschen mit Behinderungen mehr Möglichkeiten der Teilhabe und Selbstbestimmung.
Maßnahmen und Ziele sind u. a. eine frühzeitige Intervention zur Verhinderung der Erwerbsunfähigkeit, vereinfachte Verfahren bei der Beantragung von Reha-Leistungen, unabhängige Beratungsstellen, ein persönliches Budget, eine Erhöhung des Einkommens- und des Vermögensfreibetrags und eine Umstrukturierung und Erweiterung der Eingliederungshilfen.
Die Neuerungen und Verbesserungen, die das BTHG für Menschen mit Behinderungen bietet, gelten nicht für asylsuchende Menschen mit Behinderungen. Diese bleiben nach wie vor von den Leistungen der Eingliederungshilfe ausgeschlossen. Sie sind weiterhin auf das Ermessen der Behörden angewiesen bei der Antragsstellung nach § 6 Asylbewerberleistungsgesetz (Westphal/Wansing 2019: S. 7).
Informationen zum BTHG finden Sie im Internet, z. B. unter: https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/
2016 wurde das Integrationsgesetz verabschiedet. Entsprechend dem Leitsatz „Fördern und Fordern“ sollen geflüchtete Menschen (die eine gute Bleibeperspektive haben) frühzeitig an integrationsfördernden Angeboten teilnehmen können (z. B. Integrationskurse, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten). Gleichzeitig werden im Gesetz Mitwirkungspflichten formuliert.
Auf Behinderungen oder Beeinträchtigungen wird im Gesetz nicht eingegangen.
Das komplette Gesetzblatt finden Sie im Internet, z. B. unter: http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl116s1939.pdf
Das Aufenthaltsgesetz regelt „die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern“ (§ 1 Abs. 1 AufenthG).
Um einen Aufenthaltstitel (befristet oder unbefristet) zu bekommen, muss in der Regel der Lebensunterhalt gesichert sein, ohne dass dafür öffentliche Hilfen in Anspruch genommen werden. (Dies gilt nicht bei einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen.)
Können Menschen aufgrund einer Behinderung nur zum Teil oder gar nicht arbeiten, ist es schwierig für sie, einen Aufenthaltstitel zu erhalten. Auch die Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen reicht hier nicht aus, da dadurch nicht der Lebensunterhalt gesichert werden kann. Sie sind dann auf unterhaltspflichtige und erwerbstätige Angehörige angewiesen (Welti/Walter 2019: S. 133).
Für Geduldete mit „nachhaltiger Integration“ sieht das Gesetz eine Ausnahme vor, wenn sie die Anforderungen „wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen“ können (§ 25b Abs. 3 AufenthG). Ähnliches gilt für Personen, deren Beeinträchtigung erst in Deutschland aufgetreten ist oder die sich erst hier verschlimmert hat. Sie können unter vereinfachten Bedingungen eine Niederlassungserlaubnis erhalten (§ 9 Abs. 2 AufenthG).
Die Kurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge müssen übrigens das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes berücksichtigen. Das bedeutet, dass sie bei Bedarf barrierefreie Dokumente und Gebärdensprache anbieten müssen (§§ 9ff. BGG).
„Es wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Situation behinderter Migrantinnen und Migranten gesehen hat, sie aber erst nach längerem Aufenthalt besonders berücksichtigen will.“ (Welti/Walter 2019: S. 135).
Das komplette AufenthG finden Sie im Internet, z. B. unter: https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/BJNR195010004.html#BJNR195010004BJNG000101310
Die Umsetzung des gesetzlich geforderten besonderen Schutzes und der Versorgung von geflüchteten Menschen mit Behinderungen (Art. 19 der EU-Aufnahmerichtlinie und Art. 25 der UN-BRK) wird nach wie vor als unzureichend und menschenrechtsverletzend eingeschätzt (Westphal/Wansing 2019: S. 15; Köbsell 2019: S. 69).
Die (gesundheitlichen) Versorgungsleistungen sind weiterhin vom Aufenthaltsstatus abhängig. Geflüchtete Menschen mit einer Behinderung sind dadurch von umfassenden Leistungen ausgeschlossen (Engin 2019: S. 109). Insbesondere im Bereich der Eingliederungshilfen werden rechtliche Verbesserungen angemahnt (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2016: S. 550). Diese wurden bisher nicht umgesetzt.
Zahlreiche Hürden erschweren insbesondere geflüchteten Menschen mit einer Behinderung den Zugang zu Gesundheits- und Sozialleistungen. Dadurch können (weitere oder schlimmere) gesundheitliche Beeinträchtigungen und Behinderungserfahrungen die Folge sein (Westphal/Wansing 2019: S. 9).
Es gibt gleichzeitig Bemühungen und Initiativen auf unterschiedlichen politischen Ebenen. Die „Partizipation von Menschen mit Behinderungen und Migrationshintergrund“ ist im „Nationalen Aktionsplan 2.0 der Bundesregierung zur UN-Behindertenrechtskonvention“ als Handlungsmaßnahme aufgenommen.
Außerdem wird in denhttps://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/mindeststandards-zum-schutz-von-gefluechteten-menschen-in-fluechtlingsunterkuenften-117474 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom April 2021 explizit auf die „Umsetzung der Mindeststandards für geflüchtete Menschen mit Behinderung“ eingegangen.