Startseite » Gewalt » In welchem Zusammenhang stehen Gewalt und Aggression mit Sexualität?
Bei Menschen, als von Grund auf soziale Wesen, ist Sexualität immer eingebettet in soziale Beziehungen zu betrachten. Sie findet innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Rahmens sowie der vorherrschenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse statt.
In männlich dominierten (patriarchalen) Gesellschaften prägt nach dem Konzept von Connell das „hegemoniale“ Männlichkeitsideal auch den Umgang mit Sexualität. Männlichkeit bildet sich hier in Abgrenzung zu allen Merkmalen, die dem Weiblichen zugeschrieben werden. Das sind z. B. Emotionalität, Nähe, Lust, Zärtlichkeit sowie Unterordnung und Machtlosigkeit. Gleichzeitig ist innerhalb des „hegemonialen“ Männlichkeitsentwurfs Heterosexualität die einzig zugelassene Form des sexuellen Begehrens.
Das bedeutet, dass Männer sich in einem Widerspruch zwischen dem Wunsch (und der gesellschaftlichen Forderung) nach Autonomie gegenüber Frauen und dem heterosexuellen-libidinösen Begehren befinden. Dadurch treffen sich zwei Konfliktlagen, die mit dem Ideal hegemonialer Männlichkeit nicht vereinbar sind, weil sie mit dem Weiblichen assoziiert werden: Abhängigkeit und liebevolle, zärtliche Bindung.
Die (unbewusste) Zwangslage zwischen der kulturell geforderten Autonomie und der sexuellen Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Frauen bringt Männer demnach in einen elementaren Konflikt. Der Sozialpsychologe und kritische Männlichkeitsforscher Rolf Pohl bezeichnet diesen als das Männlichkeitsdilemma in männlich dominierten Kulturen (Pohl 2004: S. 218 ff.).
Als Reaktion wird unbewusst die sexuelle Abhängigkeit von der Frau bekämpft. Die eigene Lust und Begierde wird auf die Frau projiziert. Ein Beispiel dafür ist die Redensart von den „Waffen einer Frau“, wenn von ihrer sexuellen Anziehungskraft auf Männer die Rede ist.
Auch andere Emotionen, Begierden und Wünsche, die sich nicht im Idealbild der hegemonialen Männlichkeit unterbringen lassen, werden auf das Weibliche projiziert. Dabei handelt es sich um die mit dem weiblichen Geschlecht „assoziierten eigenen, angstauslösenden Anteile von Schwäche, Minderwertigkeit, Emotionalität und Mitleidsfähigkeit“ (Pohl 2003: S. 39).
Die Fiktion von Frauen als Angehörige des „schwachen Geschlechts“ ist in dieser Lesart das Ergebnis der projektiven Auslagerung männlicher Abhängigkeitsängste. Was selbst nicht gespürt werden darf, wird abgespalten und auf Frauen projiziert.
Sexuelle Abweisungen, die von Frauen ausgehen, haben in dieser Logik ein enormes Kränkungspotenzial. Es ist ja der überlegene Mann, dem von der ihm unterlegenen Frau sein Anrecht auf ihren Körper verwehrt wird.
Die psychischen Spannungen vervielfachen sich mit jeder neuen sexuellen Abweisung, die ein in einem solchen Muster verhafteter Mann von einer begehrten Frau erfährt.
Dies kann bis hin zu Hassgefühlen gegen Frauen als „Sexualobjekte“ führen, mit dem Wunsch, diese zu vernichten (Pohl 2003: S. 23). Die Frau muss dann dafür bezahlen, den Mann mittels ihrer Sexualität ins Verderben stürzen zu wollen.
„Eine der Hauptursachen für den in sexueller Gewalt zum Ausdruck kommenden Frauenhass ist danach der Hass auf das eigene (sexuelle) Begehren, für das die Frau projektiv verantwortlich gemacht und bestraft wird“ (Pohl 2004: S. 123 f.).
Frauen werden durch diesen sozialpsychologischen Mechanismus grundsätzlich zum Feindbild des Mannes. Sie werden für die Instabilität der als männlich erlernten Eigenschaften verantwortlich gemacht. Im Zusammenhang mit sexueller Gewalt und mit anderen Formen körperlicher und psychischer Gewalt gegen Frauen entfaltet dieser Mechanismus seine zerstörerische Wirkung.