Startseite » Behinderung » Lebenssituationen von zugewanderten und geflüchteten Menschen mit Behinderung in Deutschland
„Erfährt eine Familie eine Migration und eine Behinderung, so nimmt sowohl
das eine als auch das andere Widerfahrnis Einfluss auf ihre Lebenswelt“ (Falkenstörfer/Gasmi 2019, S. 29).
Es bedarf immer eines sorgfältigen und offenen Blickes auf die individuelle Lebenssituation. In diesem Sinne sind die folgenden, ausgewählten Aspekte als Anhaltspunkte zu verstehen, die sich jedoch mit Blick auf eine einzelne Person bzw. Familie ganz unterschiedlich darstellen können.
Zugewanderte Menschen mit Behinderung und deren Familien müssen oft mit zahlreichen Einschränkungen in der Lebensführung und Teilhabe zurechtkommen. Häufig ist die Einkommens- und Wohnsituation schwierig. Vielen fällt es schwer, sich im deutschen Gesundheitssystem zurecht zu finden und Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen.
Die Ungleichheit und Einschränkung der gesellschaftlichen Teilhabe wird an unterschiedlichen Stellen deutlich, insbesondere im Bildungsbereich und bei der Erwerbstätigkeit: So sind z. B. an Förderschulen Kinder und Jugendliche nichtdeutscher Nationalität überrepräsentiert (BMAS 2016: S. 455).
Menschen mit Migrationshintergrund und Beeinträchtigungen haben vergleichsweise häufiger keinen oder einen niedrigeren Schulabschluss (BMAS 2016: S. 464).
Die Unterschiede verstärken sich nochmal bei den beruflichen Abschlüssen (BMAS 2016: S. 466).
Und auch bei der Erwerbstätigkeit zeigen sich deutliche Ungleichheiten. So sind 82 % der erwerbsfähigen Menschen ohne Migrationshintergrund und ohne Beeinträchtigung erwerbstätig, hingegen nur 43 % der Menschen mit beidem (BMAS 2016: S. 468).
Gleichzeitig bringt Migration für viele Herausforderungen im Zusammenhang mit der Behinderung oft auch Erleichterung, im Vergleich zu den Bedingungen im Herkunftsland. Dies ist abhängig von den strukturellen Gegebenheiten vor Ort (z. B. Stadt oder Land), von den persönlichen bzw. familiären Verhältnissen und von der individuellen Lebenshaltung (Kohan 2019: S. 50 f.).
In den Statistiken wie auch im gesellschaftlichen Diskurs (Köbsell 2019: S. 63) sind geflüchtete Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung und Ihre Bedarfe kaum sichtbar. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung laufen sie Gefahr, zu einseitig als passive Opfer oder „soziales Problem“ betrachtet zu werden. Ihre komplexen Lebenslagen, ihre Handlungsfähigkeiten und auch Widersprüchlichkeiten sind unbedingt stärker in den Blick zu nehmen (Westphal/Wansing 2019: S. 14).
Zur Lebens- und Versorgungslage zeigen Berichte von Akteuren der Zivilgesellschaft und Praxiseinrichtungen (z. B. Schülle 2017) deutlich, dass geflüchtete Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen auch in Deutschland oft nicht ausreichend Zugang zu erforderlichen Leistungen haben (Köbsell 2019: S. 64). Dies gilt auch für geflüchtete Kinder mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen (Engin 2019: S. 111).
In Bezug auf die Lebenssituation ist nochmal zu unterscheiden, ob die geflüchteten Menschen mit Behinderung allein oder in Begleitung von vertrauten Menschen nach Deutschland gekommen sind. Allein geflüchtete sind oftmals auf fremde Hilfe und praktische Unterstützung angewiesen, die nicht immer adäquat geleistet werden kann. (Grotheer/Schroeder 2019: S. 88). Gerade das Angewiesensein auf Hilfe kann das Risiko für verschiedene Formen von Gewalt erhöhen