Startseite » Behinderung » Kultursensible Haltung und Kommunikation
Die Haltung und Professionalität der Fachkräfte hat einen großen Einfluss auf Zugang, Akzeptanz und Wirkung der Hilfeangebote. (Schwalgin/Amirpur/Kriechhammer-Yağmur 2015: S. 6)
Nicht selten kommt es aufgrund von Missverständnissen und Barrieren in der Kommunikation zu Fehleinschätzungen über den Hilfebedarf und zum Verlust der Kooperationsbereitschaft der Eltern bzw. Familie (Kaiser-Kauczor 2019).
Kommunikationsstörungen entstehen nach Auernheimer (2015, in Kriechhammer-Yağmur 2015: S. 29) insbesondere aufgrund von unterschiedlichen Erwartungen an ein Gespräch. Sind diese nicht bekannt oder werden sie nicht adressiert, können Enttäuschungen die Folge sein. Die Ursache für Störungen liegt also häufig auf der Beziehungsebene, nicht auf der Inhaltsebene. Um eine tragfähige Arbeitsbeziehung zu ermöglichen und Missverständnisse zu vermeiden bzw. klären zu können, ist eine kultursensible Haltung wichtig.
Für eine kultursensible Haltung als Grundlage für eine gelingende Kommunikation fasst Cornelia Tsirigotis (2019: S. 238 ff.) acht Punkte zusammen. Diese kommen ursprünglich aus dem systemisch-lösungsorientierten Arbeiten.
Die Erkenntnis, dass unsere eigenen scheinbar „normalen“ Werte kulturbedingt sind, ist Voraussetzung dafür, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf Augenhöhe zu begegnen.
Dann geht es im Gespräch nicht um richtig oder falsch, sondern um die jeweilige Bedeutung für den*die einzelne*n. Die fortlaufende Selbstreflexion der eigenen Wahrnehmung und Werte ist dafür wichtig.
Die meisten Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und die meisten Menschen mit Behinderungen erleben Diskriminierungen in unterschiedlichsten Kontexten.
Die tief verletzende Wirkung von „unvorsichtigen“ Aussagen, meist ohne diskriminierende Absicht, kann von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft kaum nachvollzogen werden.
Eine Anerkennung der Diskriminierung ohne diese zu verharmlosen (z. B. „war sicher nicht so gemeint“) ist wichtig.
Als Fachkräfte sind wir geneigt zu denken, dass wir wissen, was fachlich für das Gegenüber richtig ist.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass die Betroffenen, Eltern oder Familien Expert*innen für ihre Lebenssituation und für ihren Umgang mit der Behinderung sowie mit Migration und Kulturwechsel sind.
„Eine solche Haltung erfordert, mit einer offenen, fragenden Haltung auf Ratsuchende zuzugehen und mit ihnen gemeinsam eine Geschichte, einen Weg zu finden, der zu ihnen passt.“ (Tsirigotis 2019: S. 240)
Mit Neutralität beschreibt Tsirigotis (2019: S. 240) eine professionelle Haltung, bei der davon ausgegangen wird, dass das Gegenüber (aus seiner Kultur oder seiner sozialen Zugehörigkeit heraus) immer gute Gründe für sein Verhalten hat. Diese Beweggründe gilt es neugierig kennenzulernen.
Neutralität bedeutet nicht, dass das Verhalten gutgeheißen oder die Einstellung geteilt werden muss. Oder dass das Verhalten (z. B. Gewalt) durch den kulturellen Hintergrund entschuldigt wird.
An die Neutralität schließt die Haltung des „unerschrockenen Respektierens“ an. Das zunächst Respektieren von aus unserer Sicht problematischen Verhaltensweisen und Einstellungen ist wichtig, um eine tragfähige Arbeitsbeziehung zu ermöglichen.
Ohne diese Beziehung ist es kaum möglich, gemeinsam neue, alternative Möglichkeiten zu finden. Hilfeangebote sind dann tragfähig, wenn sie sowohl die Beweggründe der Betroffenen bzw. Familie als auch die Erfordernisse aus fachlicher Sicht berücksichtigen.
Hilfreiche Fragen können folgende sein:
Oft wird hilfesuchenden Menschen Hilfebedürftigkeit unterstellt und in den Vordergrund gerückt. Dadurch besteht die Gefahr, dass diese im Hilfeprozess „entmächtigt“ werden.
Eine Haltung, die „Kundigkeit“ unterstellt (im Sinne der grundlegenden Fähigkeit, das eigene Leben mit all seinen Umständen „in den Griff“ zu bekommen) hingegen ermöglicht ihnen, diese Haltung auch für sich selbst zu übernehmen.
Die Unterstellung der Kundigkeit ist im Sinne des Empowerments „eine der wichtigsten Haltungen in der Begegnung mit Familien mit Kindern mit Behinderung Migrationsbiografien“ (Tsirigotis 2019: S. 243).
In Anbetracht manchmal sehr komplexer Lebenslagen und Schwierigkeiten gerät die Ressourcenorientierung als Haltung leicht aus dem Blick. Manchmal scheinen kaum Ressourcen vorhanden zu sein.
Daher ist die „innere entschlossene Bereitschaft“ (Tsirigotis 2019: S. 243), immer wieder nach Ressourcen der hilfesuchenden Person(en) zu suchen sehr wichtig. Diese zu nutzen und zu stärken (und erscheinen sie noch so klein), erweist sich immer wieder als sehr wirkungsvoll.
Die Anerkennung von Vielfalt (in Bezug auf andere Wahrnehmungs-, Deutungs- und Verhaltensmuster) als Bereicherung und nicht als notwendiges Übel ist eine wichtige Grundhaltung, um respektvoll und wertschätzend mit Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und Behinderung arbeiten zu können.